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Religiöse Akteurinnen und Akteure nennen religiöse Bildung und Solidarität als Voraussetzungen für Religionsfreiheit

07 September 2021

Eine Bedrohung im Bereich der öffentlichen Gesundheit, eine wirtschaftliche Katastrophe, eine Krise, die Gesellschaften gespalten hat – die globalen Auswirkungen des Coronavirus sind schwerwiegend und auf allen Ebenen des täglichen Lebens zu spüren.

Auch Glaubensgemeinschaften sind nicht von dem Leid verschont geblieben. Angst und Misstrauen gegenüber dem Virus haben zu einer Zunahme von Hassrede und religiöser Diskriminierung geführt. Zusammen mit anderen Menschenrechten – Meinungs- und Informationsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit – sind auch die religiösen Rechte zunehmend von Einschränkungen bedroht.

Achtzehn Monate nach den ersten Ausgangsbeschränkungen in vielen Teilen der Welt sind Rassismus, Stigmatisierung, Desinformation und die gezielte Verfolgung ethnischer und religiöser Minderheiten nach wie vor weit verbreitet. Diese Vorurteile gab es schon vor der Pandemie in vielen verschiedenen Ausprägungen. 

Sensibilisierung für religiöse Intoleranz

Um religiöse Intoleranz zu bekämpfen, muss die gegen Menschen und Glaubensgemeinschaften verübte Gewalt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden. Aus diesem Grund haben die Vereinten Nationen im Jahr 2019 den Internationalen Tag zum Gedenken an die Opfer von Gewalttaten aus Gründen der Religion oder des Glaubens eingeführt, der jährlich am 22. August begangen wird.

Aus diesem Anlass veranstaltete KAICIID letzte Woche ein Webinar mit namhaften Akteurinnen und Akteuren der Religion und aus der Zivilgesellschaft, die über ihre Erfahrungen bei der Bekämpfung von Gewalt aus Glaubensgründen durch interreligiösen Dialog berichteten.

Sichere Räume

Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ist eindeutig, was den grundlegenden Charakter der religiösen Freiheiten angeht: „Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“. Interreligiöser Dialog untermauert dieses Ideal und setzt sich für eine Welt ein, in der die Würde aller Menschen unabhängig von ihrer Herkunft gewahrt wird. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Schaffung sicherer Räume, in denen der Einzelne seine Überzeugungen frei und ohne Angst vor Verfolgung zum Ausdruck bringen kann.

„Wir brauchen eine Gesellschaft, in der Menschen ihre Religion ausüben können, ohne dass sich jemand einmischt; eine Atmosphäre, in der sie nicht gezwungen werden, andere Ansichten zu befolgen“, sagt Elder Justina Mike Ngwobia, eine erfahrene Friedensstifterin mit fünfzehn Jahren Erfahrung auf dem Gebiet der interreligiösen Beziehungen.

Ngwobias Heimatland Nigeria ist von religiösen Unterschieden geprägt. Seit mehr als zwei Jahrzehnten kommt es in weiten Teilen des afrikanischen Landes zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen muslimischen Hirten und christlichen Bauern, die jedes Jahr hunderte Menschenleben fordern. Das Land hat auch mit religiöser Unterdrückung zu kämpfen. Die lokalen Machthaber sind dafür bekannt, dass sie in ihren Gebieten „offizielle“ Glaubensrichtungen durchsetzen und Gläubigen mit unterschiedlichem Hintergrund Einschränkungen auferlegen.

 

Ngwobia glaubt, dass eine Kombination aus besserer Bildung und mehr interreligiösem Dialog entscheidend ist, um diese Probleme zu lösen.

„Es gibt viel Unwissen in Bezug auf Religion, weil wir nicht wirklich gebildet sind, wenn es um religiöse Fragen geht“, sagt sie. „Die Menschen handeln unwissend, sie verstehen nicht, worum es in ihren religiösen Texten geht, und deshalb kämpfen sie jeden Tag.“


Lesen Sie mehr: Interreligiöser Leitfaden rund um das Coronavirus


Probleme durch gemeinsames Handeln lösen

Trotz ihrer Unterschiede haben die großen Religionen der Welt viel gemeinsam. Die Achtung vor dem menschlichen Leben, die Hilfe für Bedürftige, das Zusammenstehen in schweren Zeiten – das sind Werte, die allen Glaubensgemeinschaften am Herzen liegen. Der interreligiöse Dialog ermöglicht es, diese Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu rücken, das Misstrauen gegenüber dem "Anderen" zu zerstreuen und dazu beizutragen, die Häufigkeit von religiös motivierter Gewalt zu verringern.

Um dies zu erreichen, sind manchmal Maßnahmen auf höchster Ebene erforderlich. Das Zweite Vatikanische Konzil in den 1960er Jahren änderte beispielsweise die Art und Weise, wie die katholische Kirche an die interreligiöse Zusammenarbeit heranging, indem sie einen inklusiveren Zugang wählte. Wie der Diskussionsteilnehmer Pfarrer Dr. John Pawlikowski feststellte, werden Fortschritte jedoch oft an der Basis erzielt.

„In jüngster Zeit wurden Vorfälle von religiösem Hass öffentlich von einem Zusammenschluss lokaler Religionsgemeinschaften bekämpft“, so Pawlikowski, ehemaliger Präsident des Internationalen Rates der Christen und Juden.

Ein besonderes Beispiel ist ihm in Erinnerung geblieben. Im Sommer 2017 war Charlottesville, Virginia, Schauplatz einer großen rechtsextremen Bewegung. Weiße Supremisten und neonazistische Gruppen demonstrierten gegen mehrere Gotteshäuser, darunter auch Synagogen. Da sie nicht bereit waren, Akte religiöser Intoleranz unwidersprochen zu lassen, kamen lokale interreligiöse Führerinnen und Führer unter dem Motto „Versammelt Charlottesville“ zusammen und riefen Tausende ihrer Gläubigen zu einem friedlichen Gegenprotest auf.

Wenn Vorurteile aufgrund des Glaubens entkräftet werden sollen, muss diese Art der Zusammenarbeit mit zunehmender Entschlossenheit gefördert werden, so Pfarrer Pawlikowski.

„Wir müssen weiterhin Möglichkeiten schaffen für Diskussionen und den Austausch von Ideen und Erfahrungen zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften – insbesondere an der Basis.“

COVID-19: Herausforderungen, aber auch Chancen

Die Coronavirus-Pandemie hat den Religionsgemeinschaften eine Zeit großer Angst und großen Leids gebracht. Religiöse Führerinnen und Führer wurden vor viele Herausforderungen gestellt. Die Pandemie hat auch technische Hürden für diejenigen errichtet, die sich mit interreligiösem Dialog intensiv beschäftigen, da persönliche Treffen plötzlich unmöglich wurden. Dennoch haben die Gläubigen angesichts von COVID-19 nach Aussage von Fachleuten die gegenseitige Solidarität hochgehalten.

„Die weltweite Pandemie hat sich zweifellos auf die interreligiösen Beziehungen ausgewirkt, weil es an Kommunikation und persönlichen Begegnungen zwischen uns mangelt“, erklärt Dr. Sayyed Jawad Mohammed Taqi Al-Khoei, Generalsekretär des irakischen Al-Khoei-Instituts. Das wegweisende Zentrum verbindet ein traditionelles islamisches Seminar mit einer modernen interreligiösen Akademie.

„Aber alle Menschen stehen vor denselben Herausforderungen, und in mancher Hinsicht hat dies viele näher zu Gott gebracht.“

In solch dunklen Zeiten einen Lichtblick zu finden, weckt Hoffnung – Hoffnung auf eine immer stärkere religionsübergreifende Zusammenarbeit und eine Zukunft, die von Harmonie zwischen allen Menschen des Glaubens geprägt ist.