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Geflüchtete Frauen und Migrantinnen müssen in der Politik eine aktive Rolle einnehmen, empfehlen Fachleute

22 Juni 2021

Geflüchtete Frauen und Migrantinnen müssen einen Platz in der Politikgestaltung haben, wenn systemische Probleme der sozialen Ausgrenzung und Diskriminierung angegangen werden sollen, argumentieren Expertinnen und Experten für Gleichstellung.

Anlässlich des Weltflüchtlingstages veranstaltete KAICIID das Webinar „Frauen an die Front: Die Bedeutung der Förderung von geflüchteten Frauen und Migrantinnen für ein sozial integratives Europa“. Das Webinar beleuchtete die Notlage von Flüchtlingen und Migrantinnen in Europa und andernorts, würdigte ihre Widerstandsfähigkeit angesichts extremer Not und bot Lösungen für die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind. 

Mitglieder der von KAICIID unterstützten Plattform „Netzwerk für Dialog“ übermittelten Botschaften der Solidarität mit Flüchtlingsfrauen und Migrantinnen in ganz Europa. Die Veranstaltung wurde moderiert von Amina Khalid, Leiterin des Programms für nachhaltige Gemeinschaften, Initiativen der Veränderung und Mitglied des Netzwerks für Dialog.

Hinter vielen Problemen, von denen Frauen und Mädchen unverhältnismäßig stark betroffen sind, verbirgt sich eine tief verwurzelte Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, wurde im Webinar ausgeführt. Dazu zählen zum Beispiel häusliche und sexuelle Gewalt, schlechte Berufsaussichten, geringere Bezahlung, fehlender Zugang zu Bildung und unzureichende Gesundheitsversorgung.

Geflüchtete Frauen und Migrantinnen sind besonders anfällig für Diskriminierung, Gewalt und Vertreibung und haben oft Schwierigkeiten, Zugang zu grundlegender Unterstützung und Hilfsangeboten zu erhalten, die ihre Probleme lindern sollen.

Sprache ist häufig die Wurzel dieses Problems, erklärt Dr. Salome Mbugua, Co-Präsidentin des Europäischen Netzwerks für Migrantinnen und Beauftragte der Irischen Kommission für Menschenrechte und Gleichberechtigung.

„Die Verständigung ist eine große Herausforderung, denn die meisten Migrantinnen und Migranten beherrschen die Sprache des Landes, in dem sie sich niederlassen, nicht“, erklärt Dr. Mbugua.

„Das beeinträchtigt ihre Bereitschaft, sich in die lokale Gemeinschaft einzubringen und zu integrieren, und kann manchmal zu ihrer vollständigen Ausgrenzung und Isolation führen.“

Da sie am Rande der Gesellschaft leben, werden selbst die grundlegendsten Dinge – wie die Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung oder das Einkaufen von Lebensmitteln – schwierig, so Dr. Mbugua. Gröbere Herausforderungen, wie der Ausschluss vom Arbeitsmarkt, verschlimmern die Situation für Flüchtlingsfrauen und Migrantinnen. Sie laufen oft Gefahr, unter die Kontrolle eines missbrauchenden Partners zu geraten.

„In einigen Fällen ist der Status einer Frau von ihrem Ehepartner abhängig. Ist dieser Mann in der Beziehung gewalttätig, ist es sehr problematisch, sehr schwierig für die Frau, unabhängig zu werden.“

Um solche schwerwiegenden Probleme angemessen anzugehen, müssen Frauen mit Fluchterfahrung den politischen Entscheidungsprozess beeinflussen und sicherstellen, dass positive Maßnahmen an der Spitze ergriffen werden, bevor sie an der Basis ankommen. Das ist die Überzeugung von Anila Noor, einer politischen Beraterin, die sich mit Inklusion, Vielfalt und sozialer Gerechtigkeit beschäftigt und von ihrer eigenen Geschichte als Migrantin aus Südasien berichtete.

Nachdem sie in den Niederlanden Asyl beantragt hatte, hoffte Noor, den scheinbar fortschrittlichen Ansatz Europas in Sachen Gleichberechtigung zu erleben. Traurigerweise wurde sie jedoch mit Verachtung und Diskriminierung konfrontiert. Von der lokalen Behörde wurde sie zur Arbeit in einer Fabrik geschickt, obwohl sie über eine umfangreiche höhere Bildung und berufliche Qualifikationen verfügte.

Noor wollte dieses Schicksal nicht annehmen und versuchte zu zeigen, was geflüchtete Frauen erreichen können. Sie gründete New Women Connectors, eine Plattform, die die Einbeziehung von Migrantinnen in den politischen Entscheidungsprozess fördert.

„Ich habe mir diese Verantwortung auferlegt, zu zeigen, dass Flüchtlingsfrauen und Migrantinnen Vorbilder sind, dass sie belastbar sind und dass sie versuchen, einen Beitrag in ihren neuen Heimatländern zu leisten.“

„Bei New Women Connectors versuchen wir, im Prozess der Politikgestaltung und Entscheidungsfindung einen Platz als Mitgestalterinnen einzunehmen, nicht als passive Empfängerinnen.“

Noors Organisation bietet Frauen einen sicheren Raum, um ihre individuellen und gemeinsamen Schwierigkeiten zu diskutieren. So wird ihnen geholfen zu erkennen, dass sie in der Politikgestaltung eine Rolle spielen können. Das ist von entscheidender Bedeutung, da der Prozess oft verworren und technisch ist und kaum Anstrengungen unternommen werden, damit sich Migrantinnen und junge Frauen willkommen fühlen. 

Diese Erzählung klingt für jene vertraut, die sich außerhalb Europas für die Rechte von Frauen einsetzen, insbesondere in den Flüchtlingslagern des Nahen Ostens. Yadviga Kirdzik ist Programmleiterin bei der Internationalen Catholic Migration Commission (ICMC) in Jordanien, wo Probleme wie Kinderehe und wirtschaftliche Ausgrenzung das Leben von tausenden Migrantinnen beeinträchtigen. Diese Probleme rühren oft vom schlechten Zugang zur Schulbildung her, so Kirdzik.

„Es gibt einen Mangel an Bildungschancen für geflüchtete Frauen und Migrantinnen, vor allem wegen der hohen Kosten für Bildung.“

„Die meisten Flüchtlings- und Migrantenfamilien können sich die Schulgebühren nicht leisten, besonders in Jordanien. Brechen Mädchen die Schule ab oder absolvieren keine weiterführende Ausbildung, trägt das zu ihrer allgemeinen Marginalisierung bei, schränkt sie auf den Haushalt ein und kann zu einer frühen Verheiratung führen.“

Bildungsdefizite können sich auch negativ auf den sozialen Zusammenhalt auswirken, erklärte Kirdzik, da Migrantinnen und Migranten mit gering qualifizierten Menschen aus der lokalen Bevölkerung um Einstiegsjobs konkurrieren müssen, was zu Ressentiments und Fremdenfeindlichkeit führt.

Um dem entgegenzuwirken, nutzt die Kommission ICMC die Kraft des interreligiösen Dialogs und schließt sich mit nationalen und von der Basis geführten islamischen Organisationen zusammen. Durch die Zusammenarbeit wird deren Fähigkeit gestärkt, Zugang zu Finanzmitteln zu erhalten und gefährdete Flüchtlingsgemeinschaften zu unterstützen, erklärte Kirdzik. Anschließend erzählte sie die traurige, aber ermutigende Geschichte von Sara, einer Migrantin aus Syrien.

Sara verließ ihre vom Krieg gezeichnete Heimat und kam schwanger in Jordanien an. Tragischerweise starb das kleine Mädchen kurz nach der Geburt – eine Folge des Stresses und der Unterernährung, denen die Mutter ausgesetzt war. Gezeichnet von der Trauer konnte Saras Ehemann die Familie nicht ernähren, also machte sie sich selbst auf die Suche nach Arbeit. Mit Hilfe von Kirdziks Organisation erlangte sie eine Ausbildung als Schneiderin, die ihr den Weg zu einer Tätigkeit in diesem Beruf ebnete. 

Trotz dieser Geschichten des Fortschritts gibt es immer noch viele Barrieren für Migrantinnen und geflüchtete Frauen. Dies gilt insbesondere inmitten der COVID-19-Krise, wie das Webinar zeigte. Sozial ausgegrenzte Migrantengruppen haben weniger Zugang zu medizinischer Versorgung und Impfungen und sind anfälliger für die wirtschaftlichen Nachwirkungen der Pandemie.