Direkt zum Inhalt

Interreligiöser Dialog ist laut Fachleuten die wichtigste Komponente in den Bemühungen, die soziale Ausgrenzung von Migranten und Flüchtlingen in Europa zu bekämpfen

07 Juli 2021

Religion und interreligiöser Dialog spielen eine entscheidende Rolle bei der Förderung der sozialen Inklusion von Migranten- und Flüchtlingsgemeinschaften in Europa, so lautet das Fazit einer Expertenrunde, die am Dienstag, 6. Juni, stattfand.

Politische Entscheidungsträgerinnen und -träger kamen zusammen, um drei neue Grundsatzpapiere zu diskutieren, die vom KAICIID-unterstützten Netzwerk für Dialog veröffentlicht wurden. Sie trafen religiöse Führerinnen und Führer, darunter Scheich David Munir von der Islamischen Gemeinschaft Lissabon und Dr. Lakshmi Vyas vom Hindu Forum Europa, sowie Fachleute für Flüchtlingsfragen, um zu untersuchen, wie man die Ausgrenzung von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene am besten thematisiert.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden in drei Gruppen aufgeteilt, die jeweils von Expertinnen und Experten auf dem jeweiligen Gebiet geleitet wurden und sich auf eines der drei zentralen Themen der Grundsatzpapiere konzentrierten: Bildung, Aufbau von Vertrauen und Veränderung negativer Narrative über Migration.

Zum Auftakt des Workshops äußerte sich KAICIID-Generalsekretär Faisal Bin Muaammar stolz über die Errungenschaften des Programms von Netzwerk für Dialog.

„Mit Mitgliedern aus dreizehn europäischen Ländern – und es werden immer mehr – ist das Netzwerk wirklich einzigartig. Wir sehen sein Potenzial, eine wertvolle Ergänzung des europäischen Instrumentariums zu Migration und Integration zu sein“, eröffnete Bin Muaammar.

Das von KAICIID unterstützte Netzwerk für Dialog fördert seit 2019 die Beziehungen zwischen religiösen Akteurinnen und Akteuren und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern

Seit seiner Gründung im Jahr 2019 haben die Mitglieder des Netzwerks unermüdlich daran gearbeitet, nachhaltigen Dialog zwischen religiösen Akteurinnen und Akteuren und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern, die sich mit Flüchtlings- und Migrationsfragen beschäftigen, zu fördern. Eine solche Zusammenarbeit sei unerlässlich, da Religion ein wichtiger Teil des europäischen Lebens bleibe, erläuterte Bin Muaammar vor den Anwesenden.

„Im Gegensatz zu den Erwartungen von vor ein paar Jahrzehnten nimmt die Bedeutung der Religion im öffentlichen Leben nicht ab. Pluralismus, nicht Säkularismus, scheint der Weg in die Zukunft zu sein.“

Aus diesem Grund sollten religiöse Persönlichkeiten die Möglichkeit haben, mit Politikerinnen und Politikern in jeder Phase des politischen Entscheidungsprozesses zusammenzuarbeiten, so Bin Muaammar in seiner Rede. Dazu zählen auch die Prüfung von politischen Vorschlägen, die Förderung der Akzeptanz und die Sammlung von Wirkungsnachweisen. 

Die Botschaft stieß bei Dr. Angeliki Aroni auf offene Ohren. Sie ist Beamtin im griechischen Migrationsministeriums und Leiterin der griechischen Bemühungen zur Integration und Unterstützung unbegleiteter minderjähriger Migrantinnen und Migranten.

„Es ist sehr wertvoll, religiöse und säkulare Organisationen zusammenzubringen“, führt Dr. Aroni aus.

„Als politische Entscheidungsträgerinnen und -träger in Ministerien verlieren wir oft das Gesamtbild aus den Augen. Wir vergessen die Dimensionen, die wir uns zum Ziel gesetzt haben: die körperliche, soziale, emotionale, intellektuelle, moralische, kulturelle und spirituelle Entwicklung.“

„Deshalb ist der interreligiöse und interkulturelle Dialog so wichtig. Wir politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger müssen uns daran erinnern, wie wichtig der Glaube und religiöse Praktiken für Kinder und Jugendliche für ihre spirituelle Entwicklung und ihre Widerstandsfähigkeit sind.“

Der Glaube kann jungen Flüchtlingen ein Gefühl der Zugehörigkeit und Identität vermitteln, fügt Dr. Aroni hinzu. Besonders wichtig ist das für diejenigen, die geliebte Menschen und jeden Bezug zu einem normalen Leben verloren haben.

Dr. Aroni merkt an, dass die Strategiepapiere des Netzwerks für Dialog „die Herausforderungen sehr gut darstellen“ und betont die Wichtigkeit von Synergien zwischen politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern, wie ihr selbst, und Organisationen an der Basis.

„Die beiden sind kommunizierende Gefäße, die einander antreiben. Wir können es nicht ohne die Arbeit vor Ort schaffen“, erklärt sie.

Dies gelte insbesondere im Bereich der Bildung, sagt Parmosivea Soobrayan, UNICEF-Regionalberaterin für Bildung in Europa und Zentralasien.

Flüchtlingskinder leiden unter unzureichender Bildungsinfrastruktur und schlechter Unterrichtsqualität

Angesichts zahlreicher anhaltender regionaler Konflikte und der sich verschärfenden Klimakrise nimmt die Vertreibung von Kindern leider weltweit zu.

„Aus diesem Grund besuchen nur etwa 50 Prozent der Flüchtlingskinder die Grundschule und weniger als 25 Prozent weiterführende Schulen“, so Soobrayan.

Schlechte Bedingungen in den Klassenzimmern und mangelhafte Qualität des Unterrichts bedeuten oft, dass diejenigen, die Zugang zu Bildung haben, unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielen. Dies ist laut Soobrayan in Europa der Fall, wo es in Aufnahmezentren für Migrantinnen und Migranten an angemessenen Bildungseinrichtungen fehlt.

Um dieses Problem anzugehen, sei ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, so Emiko Naka, Vertreterin von Arigatou International und Mitglied des Netzwerks für Dialog, die die Ergebnisse der Gruppendiskussion zum Thema Bildung zusammenfasste.

„Es ist von entscheidender Bedeutung, Programme zur Förderung der Inklusion mit einem gemeinschaftsbasierten Ansatz umzusetzen, der Eltern, Lehrkräfte und andere Mitglieder der Gemeinschaft einbezieht.“ Naka bezog sich dabei auf die Erfahrungen der beiden Experten Maria Lucia Uribe, Geschäftsführerin von Arigatou International, und Frederik Smets, Bildungsbeauftragter des UNHCR, die an der Sitzung teilnahmen.

Die Einbindung von Mentorinnen und Mentoren aus der Gemeinschaft ist jedoch nur ein Teil der Lösung. Um die Probleme im Zusammenhang mit der Bildung von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten wirklich anzugehen, müssen Lehrende in der Kunst des interreligiösen und interkulturellen Dialogs geschult werden. Sie sollen die Lücken ihrer neuen Schülerinnen und Schülern schließen und deren Bildungsergebnisse verbessern, indem sie einen sichereren und förderlichen Raum zum Lernen schaffen.

Damit verbunden ist auch das fehlende Vertrauen zwischen Aufnahme- und Migrantengemeinschaften. Das Thema der zweiten Gruppe, die von Dr. Amjad Mohamed Saleem, Programmleiter bei der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung, und Dani de Torres, Experte im Europarat, gehalten wurde.

„Es gibt einen spürbaren Mangel an Vertrauen zwischen Institutionen und Mitgliedern der Flüchtlings- und Migrantengemeinschaften“, fasste Rositsa Atanasova vom Zentrum für Rechtshilfe in Bulgarien die Ergebnisse der Sitzung zusammen.

„Es braucht eher einen Ansatz von der Basis nach oben zur Entscheidungsebene anstatt von oben nach unten. Auf diese Weise wird man sich irgendwo in der Mitte treffen. Das helfen kann, den Raum für den Aufbau von Vertrauen und Inklusion zu definieren.

Mehr Kooperation zwischen Aufnahme- und Migrantengemeinschaften wird auch dazu beitragen, den Fokus der letzten Gruppendiskussion anzugehen: die Veränderung der Narrative rund um Flüchtlinge.

„Migrantinnen und Migranten haben womöglich Angst, Kontakt zu Einheimischen zu knüpfen, weil sie die Sprache nicht beherrschen und von diesen Gemeinschaften nicht unterstützt werden“, meint Dima Mahjoub von der Diaspora Network Alliance in Berlin. „Das können Barrieren sein, um sich als wichtiger Teil der Gemeinschaft zu fühlen.“

Politikerinnen und Politiker sollten die Teilhabe von Migranten und Flüchtlingen am öffentlichen Leben nach ihrer Ankunft aktiv fördern

Aus diesem Grund müssen politische Entscheidungsträgerinnen und -träger auf lokaler und nationaler Ebene eine aktivere Rolle einnehmen, um die Teilhabe von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen am öffentlichen Leben zu fördern. Ihre Kultur und ihre Küche zu würdigen, wäre ein guter Anfang dafür, erklärt Dima.

Die drei diskutierten Grundsatzpapiere gelten als Vorbereitung für das kommende Europäische Forum für politischen Dialog, das im Oktober stattfinden wird. Mit diesen Dokumenten soll das Netzwerk für Dialog als wichtiger politischer Akteur neben Partnern im Bereich der Migration positioniert werden, um mehr Raum für den Dialog zwischen glaubensbasierten und zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren mit politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern zu schaffen.