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Erstes virtuelles Interreligiösen G20-Forum beginnt vor dem Hintergrund noch nie dagewesener globaler Herausforderungen

14 Oktober 2020

Ein Treffen mit religiösen Führerinnen und Führern, Politikerinnen und Politikern, religiösen Institutionen und Fachleuten aus der ganzen Welt zu organisieren, ist unter normalen Umständen schon eine Herausforderung, geschweige denn inmitten beispielloser globaler Krisen.

Dennoch eröffneten KAICIID und seine Partnerorganisationen, die Allianz der Zivilisationen der Vereinten Nationen (UNAOC), die G20 Interfaith Association und das Nationale Komitee für interreligiösen und interkulturellen Dialog des Königreichs Saudi-Arabien, am 13. Oktober die erste virtuelle Ausgabe des Interreligiösen G20-Forums. Auf die Plenarsitzung folgten drei Podiumsdiskussionen über die Bekämpfung von Hassrede, den Schutz des religiösen Kulturerbes und die Bekämpfung der modernen Sklaverei.

In den nächsten fünf Tagen werden 1.000 Gäste aus prominenten religiösen Institutionen und zwischenstaatlichen Körperschaften die drängendsten Probleme der Weltgemeinschaft –  Hunger, Armut, eine globale Gesundheitskrise, Ungleichheiten und Klimawandel – diskutieren. Die erarbeiteten Empfehlungen werden auf dem bevorstehenden G20-Gipfel, der in Riad, Saudi-Arabien, stattfinden wird, an Politikerinnen und Politiker weitergereicht.

Obwohl dies das siebte jährliche Interreligiöse Forum ist, waren die Organisatoren aufgrund des Coronavirus gezwungen, das Konzept der Veranstaltung zu überarbeiten. Sie entwarfen nicht nur eine Online-Veranstaltung, sondern passten auch die Tagesordnung an, um den außergewöhnlichen Umständen Rechnung zu tragen, mit denen Gemeinschaften und Länder auf der ganzen Welt konfrontiert sind.

Bei der Begrüßung der Anwesenden betonten die Vortragenden, dass dies keine einmalige Veranstaltung sei, sondern ein fortlaufender Prozess.

Der KAICIID-Generalsekretär, Faisal bin Muaammar, eröffnete das Interreligiöse Forum. Der genannte Prozess habe im Juli mit einer Konsultation zwischen religiösen Führerinnen und Führern, religiösen Fachleuten und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern in der arabischen Region begonnen.

„Der 'Weg nach Riad', wie ich ihn nenne, führte durch Asien, Nordamerika, Lateinamerika, Europa und den Nahen Osten. Es fanden Konsultationen zu einigen der dringendsten Herausforderungen im Bereich der menschlichen Entwicklung statt.“

Jede Region habe unterschiedliche Herausforderungen und Zugänge gehabt, aber eine Gemeinsamkeit sei klar: Religiöse Führungspersönlichkeiten stünden bereits an vorderster Front der humanitären Hilfe und zunehmend auch bei Fragen der nachhaltigen Entwicklung. Aus diesem Grund schlug bin Muaammar vor, das Interreligiöse G20-Forum in Zukunft als offiziellen Teil der G20 zu betrachten.

Die Vertreterinnen und Vertreter sowohl zwischenstaatlicher Organisationen als auch religiöser Institutionen waren sich in den meisten Punkten einig. Ihre Reden stimmten ähnliche Töne an und nannten gemeinsame Themen.

Alle sprachen über die Rolle der Religion bei der Friedenskonsolidierung und Konfliktverhütung, die Auseinandersetzung mit der COVID-19-Krise, die Stärkung der Rolle von Frauen, Jugendlichen und gefährdeten Gruppen, die Bedrohung durch den Klimawandel und die Verringerung des Katastrophenrisikos.

Miguel Ángel Moratinos, Hoher Vertreter für die Allianz der Zivilisationen der Vereinten Nationen (UNAOC), berichtete, die UNO sei stolz auf ihre Partnerschaft mit KAICIID. Er schloss sich Bin Muaammars Worten an:

„Wir haben erlebt, wie religiöse Organisationen und Führungspersönlichkeiten das Prinzip verkörpern, niemanden zurückzulassen. Sie kämpfen für soziale Gerechtigkeit und mobilisieren Ressourcen, um die am schwersten Erreichbaren zu unterstützen. Menschen des Glaubens haben erfolgreich bewiesen, dass sie an vorderster Front helfen, wenn eine Krise ausbricht.“

Dr. Amina J. Mohammed, Stellvertretende Generalsekretärin der Vereinten Nationen und Vorsitzende der Gruppe für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, bekräftigte die Bedeutung von Glaubensgemeinschaften bei der Verwirklichung der Agenda 2030. „Sie haben sich aus vielen Glaubensrichtungen zusammengeschlossen, um unseren gemeinsamen Glauben an die Menschheit zu bekräftigen. Sie gestalten auch diese bessere Welt, die wir brauchen. Eine Welt, die integrativer, belastbarer und nachhaltiger ist. Die Vereinten Nationen stehen an Ihrer Seite.“

Dr. Kezevino Aram, Direktorin des Shanti Ashram und Mitglied des KAICIID-Direktoriums, erinnerte die Anwesenden daran, dass diese Konferenz den Beginn dessen markiert, was zu einem transformativen Wandel führen könnte. „Nicht der 'Weg nach Riad', sondern die 'Wege aus Riad' werden unsere Gespräche leiten und uns helfen zu erkennen, wie wir Dialog erfolgreich umsetzen können.”

Riad und die saudi-arabischen Gastgeber des Forums spielten auch eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung der Veranstaltung und der Eröffnungsplenarsitzung.

Zu den hochrangigen Vertretern des Königreichs Saudi-Arabien (KSA) gehörten S.E. Dr. Yousef bin Ahmed Al-Othaimeen, Generalsekretär der Organisation für Islamische Zusammenarbeit, und S.E. Dr. Mohammad Al-Issa, Generalsekretär der Islamischen Weltliga.

Alle hoben die wichtigen Maßnahmen des Königreichs bei der Bekämpfung von COVID-19 hervor und begrüßten die Art des interreligiösen Dialogs, für die das Interreligiöse G20-Forum das beste Beispiel ist.

„Wenn wir alle Bemühungen des Königreichs Saudi-Arabien betrachten, sehen wir die Früchte der Zusammenarbeit und Koordination zwischen internationalen und regionalen religiösen und staatlichen Institutionen“, so Abdullatif Al-Sheikh, Minister für religiöse Angelegenheiten Saudi-Arabiens.

In diesem Sinne gelobten alle Vortragenden, ihre Glaubensplattformen zu nutzen, um über das Gespräch hinauszugehen und echte Veränderungen und konkrete Lösungen für globale Probleme anzuregen.

S.E. Scheich Abdullah bin Bayyah, Präsident des Forums zur Förderung des Friedens in muslimischen Gesellschaften, hielt eine eindringliche Rede über interreligiöse Solidarität.

„Wir werden diese Gelegenheit nutzen, um unsere Stimme gegen strukturelle Ungleichheiten wie Diskriminierung, Rassismus und Ethnozentrismus zu erheben. Politikerinnen und Politiker müssen wissen, dass wir zu Null-Toleranz gegenüber Ungerechtigkeit und jeder anderen Form von Diskriminierung aufrufen“, erklärt Seine Heiligkeit Bartholomäus I. Erzbischof von Konstantinopel, dem Neuen Rom, und Ökumenischer Patriarch.

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, berichtet, dass seine Arbeit im von KAICIID unterstützten Muslim-Jewish Leadership Council besonders gegen Diskriminierung und Hassrede in allen Gemeinschaften in Europa gerichtet sei.

„Wir arbeiten mit allen Glaubensrichtungen, christlichen, muslimischen, jüdischen Menschen und solchen ohne Glauben zusammen, um die Menschenrechte und die Religionsfreiheit in Europa aufrechtzuerhalten, denn ohne sie gibt es keine Zukunft für das europäische Projekt“, so der Oberrabbiner.

Hassrede bekämpfen und soziale Medien als Raum für Dialog nutzen

Die Teilnehmerinnen und Teilnemer in der Diskussion zur Bekämpfung von Hassrede waren sich einig, dass Dialog zusammen mit einer vorurteilsfreien Erziehung der Schlüssel für das Ende des Hasses ist.

„Wenn wir etwas bewirken wollen, müssen wir versuchen, die Überzeugungen anderer zu verstehen. Das bedeutet nicht, dass wir unseren eigenen Glauben aufgeben und zu einer anderen Religion konvertieren müssen. Aber wir müssen über andere Überzeugungen sprechen und ihre Perspektiven verstehen, damit wir dazu beitragen können, die Verbreitung von Hassrede unter den Menschen zu stoppen“, so Großmufti Dr. Nedžad Grabus von der Islamischen Gemeinschaft in Slowenien.

Mehrere der Gäste wiesen darauf hin, wie wichtig es ist, bei der Berichterstattung über Hassrede auf die Geschlechterdimensionen einzugehen.

„Ich habe bemerkt, dass ein Großteil von Hassrede vor allem auf die Politik für Frauen abzielt“, ergänzt Reverend Susan Hayward, Leitende Beraterin für Religion und Inklusive Gesellschaften am US-Institut für Frieden.

„Manchmal werden Frauen kritisiert, die ihre Meinung mitteilen oder sich von dem entfernen, was als akzeptable Geschlechternormen angesehen wird. Ich plädiere dafür, dass religiöse Akteurinnen und Akteure diese Geschlechterdimension anerkennen und thematisieren. Denn Religion hat etwas damit zu tun, wie Geschlecht und Geschlechternormen verstanden werden.

Religiöses Kulturerbe, Menschenwürde und nachhaltige Entwicklung

In der Sitzung über religiöses Kulturerbe wurde auch diskutiert, dass Bildung im Mittelpunkt der Bemühungen um den Erhalt des religiösen Kulturerbes stehe. Insbesondere Bildung, die „universelle Werte und den Dialog fördert und die auch auf interreligiöse und interkulturelle Fortschritte hinarbeitet“, so Ana Jimenez, Politische Beraterin bei der UNAOC.

In allen Initiativen im Bereich des religiösen Kulturerbes muss die Achtung der Menschenrechte betont werden. Insbesondere geht es um das Einhalten von Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dass alle Menschen das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit haben.

Die Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer hielten fest, dass Länder mit Stätten des religiösen Kulturerbes, die Verantwortung haben, sich um den Schutz dieser heiligen Stätten zu kümmern und gleichzeitig auf die Erreichung der SDGs hinzuarbeiten.

„Durch den Erhalt des kulturellen Erbes, wir sprechen hier über religiöses Kulturerbe, arbeiten wir direkt auf das Entwicklungsziel SDG #16 hin, das für 'Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen' steht“, so Ihre Königliche Hoheit, Prinzessin Haifa al-Mogrin, Ständige Vertreterin des Königreichs Saudi-Arabien bei der UNESCO.

Menschenhandel und moderne Sklaverei

In der dritten und letzten Diskussionsrunde befassten sich die Anwesenden mit dem Ziel SDG #8.7., das „moderne Sklaverei und Menschenhandel beenden“ will, verfasst vom Diskussionsteilnehmer Kevin Hyland, dem ehemaligen ersten unabhängigen Kommissar gegen Sklaverei des Vereinigten Königreichs.

„Wir sollten über die zig Millionen Menschen weltweit nachdenken, die jahrelang oder sogar ein Leben lang unter den Gefahren des Menschenhandels und der modernen Sklaverei gelitten haben“, so Hyland.

Die Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer wiesen auf die Notwendigkeit verstärkter Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und kirchlichen Organisationen hin, die sich bereits intensiv für die Bekämpfung des Menschenhandels in ihren eigenen Gemeinden einsetzen, zum Beispiel durch eine Helpline für Opfer moderner Sklaverei im Vereinigten Königreich.

Laut DDr. Michael H. Weninger, Mitglied des Päpstlichen Rates für interreligiösen Dialog im Vatikan, müsse jedoch noch mehr getan werden. Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Missbrauch sind aufgrund von finanziellem Profit oft tief verankert. Es ist notwendig, dass religiöse Führerinnen und Führer diese sozialen Ungerechtigkeiten thematisieren, zumal sie eine grundlegende Frage der Menschenrechte darstellen.

„Die Internationale Konferenz zu Sklaverei im 21. Jahrhundert hielt fest, dass Menschenhandel einen gravierenden Verstoß gegen die Menschenwürde und eine schwere Verletzung der Menschenrechte darstellt. Das gilt insbesondere für die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern“, so DDR. Weninger

Hyland meint, dass religiöse Institutionen eine Vorreiterrolle spielen können, wenn es darum geht, transformativen Wandel herbeizuführen.

„Es bedarf äußerster Entschlossenheit und Führungsstärke, damit Menschen, insbesondere verwundbare, an erster Stelle kommen. Es können Menschen des Glaubens sein, die diese Agenda vorantreiben, die Verantwortung übernehmen und uns an unsere Aufgabe erinnern, damit künftige Generationen nicht mehr ausgebeutet werden“, so Hyland.

Dr. Mohammed Abu-Nimer, Chefberater von KAICIID, räumte ein, dass ein ausschließlich digitales Treffen viele Herausforderungen mit sich bringe.

„Wir brauchen Ihre Kreativität, um inmitten einer beispiellosen globalen Krise eine Oase der Hoffnung und Inspiration zu schaffen.“